Der Weltmeister verrät, wie er den BVB nach vorn bringen will, wie er seine Zeit in München sieht und was Trainer Favre auszeichnet.
SPORT BILD: Herr Hummels, einfache Frage zum Start. Wer wird diese Saison Deutscher Meister: Bayern, Dortmund oder Leipzig?
Mats Hummels (30): Für mich sind das die Teams, die von der Qualität des Kaders und der Art und Weise, wie sie Fußball spielen, eine Chance auf die Meisterschaft haben. Ich würde Leverkusen trotz des Spiels am Samstag (0:4 in Dortmund; d. Red.) noch mit in die Rechnung reinnehmen. Ich sehe unsere Chance bei 50:50. Richtig einschätzen können wir das aber erst in ein paar Wochen. Klar ist: Wir müssen ordentlich was drauflegen, wenn wir das Ziel erreichen wollen!
Ein Bayern-Spieler würde niemals Dortmund als ersten Meisterkandidaten nennen sollte das um gekehrt genauso sein?
Ich habe schon früher, bevor ich 2016 zu Bayern gewechselt bin, gesagt, dass ich das Maximale aus einer Saison rausholen will. Das sollte immer das Anspruchsdenken für einen Sportler in einer Mannschaft wie der des BVB sein.
Ihr Freund Thomas Müller hat über Ihren Wechsel vom FC Bayern zum BVB gesagt: „Ein Verein bekommt das aufs Brot geschmiert.“ Treibt es Sie an, es Müller und Bayern zu zeigen?
Ich möchte gewinnen, erfolgreich spielen, die tolle Karriere, die ich bislang erleben durfte, nicht nur so weiterführen – sondern komplett vollenden. Das ist mein Ziel für die kommenden Jahre.
Wann wäre diese Karriere komplett vollendet?
Mit dem BVB noch einmal die Schale zu holen wäre eine große Sache. Wir haben in diesem Jahr drei Titel-Chancen. Mein Ziel ist es, am Ende dieser Saison etwas in den Händen zu halten.
Lucien Favre ist in der Kabine der Erste, der anfeuert, motiviert. Er hat da keine Defizite
Lassen Sie sich weiterhin an Titeln messen?
Auf jeden Fall. Ich möchte dazu beitragen, dass der BVB wieder Titel holt. Ich weiß, dass in verschiedenen Ebenen auch diese Hoffnungen in mich gesetzt werden. Und genau das erwarte ich auch von mir selbst. Ich will sportlich und als Persönlichkeit mit dazu beitragen, dass wir das schaffen.
In der vergangenen Saison hat der BVB trotz zwischenzeitlichen neun Punkten Vorsprung in der Meisterfrage geeiert. Jetzt haben Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc den Titel als Ziel ausgegeben. Hält der BVB dem Druck Stand?
Für mich ist das ein Ansporn, Druck gibt es in dem Sinne nicht. Ich habe Erwartungen an mich und die Mannschaft. Was von außen hinzukommt, ist für mich und die Mannschaft relativ irrelevant.
Ihrem Trainer Lucien Favre wird immer wieder vorgeworfen, dass er nach außen keine Sieger-Mentalität vorlebt. Wirkt er nach innen anders, oder zweifelt er dort ebenfalls?
Ich finde, dass er das intern total vermittelt und auch etwas mehr aus sich herausgeht als in der Öffentlichkeit. Lucien Favre ist in der Kabine der Erste, der anfeuert, motiviert, auf Gefahren hinweist. Unmittelbar vor dem Match versuchen natürlich auch ein paar Spieler, die Kollegen zu motivieren. Aber Lucien Favre hat da aus meiner Sicht bestimmt keine Defizite.
Was halten Sie von der These, dass Sie ein Watzke-Transfer, aber kein Favre-Wunschspieler seien?
Nichts. Das ist für mich völlig irrelevant. Selbst wenn es so wäre: Als ich zu Bayern 2016 zurückkehrte, war ich auch nicht unbedingt ein Trainer-Transfer (Carlo Ancelotti betreute damals die Bayern; d. Red.). Am Ende habe ich bisher noch jeden Trainer in meiner Karriere von mir überzeugt – selbst letztes Jahr, als alles vielleicht nicht ganz so einfach war.
…arbeite hart für Siege und Titel und möchte eine Persönlichkeit auf dem Platz sein, die auch dann vorangeht, wenn es nicht so läuft.
Kurz bevor Sie damals zurück zu Bayern gingen, sagte Uli Hoeneß, dass Sie „beim FC Bayern angeklopft hätten“. Stimmt es, dass Sie den Wechsel da fast hätten platzen lassen?
Das Ganze hat zumindest noch einmal eine neue Dynamik in die Sache reingebracht damals, ja.
Bringen Sie jetzt das Titel-Gen zurück zum BVB?
Auf jeden Fall den Titel-Hunger! Titel-Gen ist mir etwas hochgegriffen. Ich lege alles rein, arbeite hart für Siege und Titel und möchte eine Persönlichkeit auf dem Platz sein, die auch dann vorangeht, wenn es nicht so läuft.
Eine klare Chefrolle auf und neben dem Platz!
Das wurde vom Verein sehr früh so kommuniziert und war für uns alle immer „Part of the deal“.
Der BVB überwies im Sommer 30,5 Millionen Euro an den FC Bayern für die Rückkehr des Verteidigers. Hummels‘ Marktwert wird auf 35 Millionen geschätzt.
Wie transportieren Sie diesen Hunger?
In erster Linie dadurch, ein Beispiel für die Kollegen zu sein. Ich nenne da gerne Philipp Lahm: Er war immer im Training voll da, hat gearbeitet, geackert. Ich bin felsenfest davon überzeugt: Wenn Leute mit dieser Qualität – bei uns beispielsweise auch ein Marco Reus – auf dem Platz in jeder Sekunde alles reinwerfen, ziehen die anderen automatisch mit. Auch Gespräche spielen eine Rolle, die Hauptaufgabe ist aber: Arbeit auf dem Platz! Sonst bist du als Führungsspieler nicht glaubhaft.
Haben Sie nach dem 1:3 bei Union auf den Tisch gehauen?
Wenn so ein Spiel zur Tagesordnung gehören würde, müsste man auf den Tisch hauen – die Niederlage will ich aber nicht an der Einstellung oder Moral festmachen. Wir hatten fußballerisch einfach nicht unseren besten Tag, haben falsche Entscheidungen getroffen. Deswegen lohnt es sich nicht, nach so einem Spiel draufzuhauen.
Manuel Akanji hat den Mannschaftsrat verlassen, nachdem Sie dritter Kapitän wurden. Mussten Sie mit ihm ein klärendes Gespräch führen?
Ich hatte nicht das Gefühl, dass das nötig ist. Wir sprechen ohnehin viel miteinander, kommen gut klar. Ich sehe mit Manuel nicht das geringste Problem.
Welche Schulnote würden Sie rückblickend Ihren letzten drei Jahren in München geben?
Eine Zwei minus. Wir haben dreimal die Meisterschaft geholt, sind in der Champions League dreimal gegen den späteren Titelträger rausgeflogen. Außer gegen Liverpool, wo es verdient war, hing es immer an Kleinigkeiten. Ich hatte unter Niko Kovac in der Hinrunde sicher eine schwere Phase, aus der ich mich aber wieder rausgekämpft habe. Ich blicke ohne negativen Gedanken auf München zurück. Und ich empfinde den Wechsel nach Dortmund definitiv nicht als Rückschritt. Und wenn das jemand behauptet, ändert das nichts an meinem Leben.
Das leidige Tempo-Thema. Ich bin nicht so langsam, wie es oft dargestellt wird
Karl-Heinz Rummenigge sagte nach Ihrem Wechsel, dass Sie zuvor in einem Gespräch mit Niko Kovac wissen wollten, ob Sie als Stammspieler beim FC Bayern „eingeplant“ sind. Als Kovac Ihnen das nicht garantieren konnte, sollen Sie den Klub laut Rummenigge „gebeten haben, gehen zu dürfen“. Stimmt es?
Die Aussage ist nicht korrekt. Mehr wird es von mir dazu nicht geben.
These von uns: Aus dem BVB-Kader würde nur Jadon Sancho den FC Bayern sofort verstärken. Stimmen Sie zu?
Das ist Geschmackssache. Wenn man zehn Leute dazu fragen würde, gäbe es wahrscheinlich zehn verschiedene Antworten. Was Jadon betrifft: Ihn könnte ich mir in so ziemlich jeder Mannschaft auf der Welt vorstellen.
Was beeindruckt Sie an Sancho?
Obwohl er noch nicht ausgereift ist, ist Jadon schon jetzt ein herausragender Fußballer. Sein Eins-gegen-eins, das Tempo. Er liebt es, Tore vorzubereiten. Er ist eine absolute Waffe, die sogar noch Steigerungspotenzial besitzt.
Sancho hat seine Passquote bei der neuen Fußball-Simulation FIFA20 kritisiert. Er bekam 77 von 99 möglichen Punkten. Sie selbst sind mit einer Gesamtstärke von 87 der beste deutsche Innenverteidiger. Niklas Süle hat zwei Punkte weniger!
Niki und ich mögen uns sehr. Wer von uns beiden als der Bessere angesehen wird, ist wahrscheinlich Geschmackssache. In der Kabine wird aber natürlich schon mal über die FIFA-Werte gesprochen.
Was Jadon betrifft: Ihn könnte ich mir in so ziemlich jeder Mannschaft auf der Welt vorstellen.
Bei der Geschwindigkeit stehen Sie nur bei Stärke 51…
Ach, das leidige Tempo-Thema. Da hat sich ein gewisser Ruf festgesetzt. Ich weiß, dass ich kein Sprinter – oder, um im Bilde zu bleiben: kein Niki Süle – bin. Aber ich bin nicht so langsam, wie es oft dargestellt wird. Das kann man übrigens auch anhand von Zahlen ablesen. Und: Wenn man 1 km/h langsamer läuft als der Gegenspieler, heißt das nicht unbedingt, dass man ein Laufduell verliert. Es geht auch darum, wann man startet. 2014, als wir Weltmeister wurden, war ich bei der Geschwindigkeit im Mittelfeld. Daran hat sich nichts geändert.
Ärgert Sie die Diskussion?
Ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die sich damit auskennen. Dabei ging es um die These, dass man im Alter langsamer werde – aber das ist so nicht zwingend der Fall. Schauen sie sich andere Sportarten an: Die besten Tennisspieler sind Roger Federer mit 38, Rafael Nadal mit 33 und Novak Djokovic mit 32 Jahren. Die besten Basketballer, ein LeBron James zum Beispiel, sind auch teilweise weit über 30. Es ist eine seltsame Diskussion, die da seit der WM geführt wird.
Was genau meinen Sie?
Ich habe beispielsweise deutlich mehr Kopfball- als Laufduelle. Zudem geht um für einen Verteidiger um Handlungsschnelligkeit, Verhalten in Zweikämpfen, wie und wo positioniere ich mich, welche Pässe spiele ich? Aber nur weil ich dazu etwas sage, wird sich die Beurteilung eines Verteidigers leider nicht ändern.
…immer abgehoben, wenn Jogi Löw angerufen hat. Vermutlich würde ich das auch nächstes Mal machen.
Nach dem 2:4 der Nationalmannschaft gegen Holland wurde Ihre Rückkehr ins DFB-Team gefordert. Wie sehr hat Sie das gefreut?
Das ist eine schöne Bestätigung für meine Leistungen. Mehr bringt es mir aber nicht.
Glauben Sie daran, dass es den Nationalspieler Hummels noch einmal geben wird?
Ich versuche mir darüber so wenige Gedanken wie möglich zu machen. Wenn es so kommt, dann kommt es so. Ich war immer stolz, für Deutschland aufzulaufen. Daran hat sich auch nichts geändert.
Wenn Jogi Löw Sie anruft…
Bisher habe ich in meinem Leben immer abgehoben, wenn Jogi Löw angerufen hat. Vermutlich würde ich das auch nächstes Mal machen.
Schlussfrage: Hat sich das Thema Ausland mit dem Wechsel zum BVB für Sie erledigt?
Es sieht danach aus. Wenn es normal läuft, werde ich aber nicht mehr auf Topniveau in Europa wechseln. Ich hatte immer die MLS in den USA im Kopf, aber das hängt natürlich sehr eng mit meiner Familie und meinem Sohn zusammen, der ja dann auch irgendwann eingeschult wird.