Gladbach träumt von der ersten Meisterschaft seit 1977. Zu Recht!
Es war der lauteste Schrei der Saison. Der Jubel, die Erlösung, nach dem Tor von Patrick Herrmann (28) zum 3:0 gegen Bremen (3:1). Es war die Entscheidung eine halbe Stunde vor Spielende, die Freude war riesig. Borussia ist die Nummer eins der Bundesliga. Spitzenreiter nach einem Drittel der Saison.
Vier Punkte beträgt der Vorsprung auf Leipzig, Bayern und Freiburg. Stolz hissen die Menschen am Niederrhein ihre grünweiß-schwarze Fahne im Garten, gehen mit Shirts und Pullis im Look des Tabellenführers selbstbewusst zur Arbeit. 90 000 Mitglieder und eine ganze Region träumen von der Meisterschaft.
Die Bundesliga sieht die beste Borussia seit 42 Jahren! 1977 war der Klub letztmals Deutscher Meister. Seit den goldenen 70ern, den Jahren der Fohlen (siehe nächste Seite) zehrte Gladbach von der Vergangenheit. Nun darf wieder geträumt werden. Im Verein bremst niemand. In der Mannschaft steigt das Vertrauen in die eigene Stärke von Woche zu Woche. Gladbach spielt schnell, aggressiv, erfolgreich. Gladbach reißt mit und begeistert.
Wir müssen kreativ sein
Max Eberl
Wie früher zu Zeiten von Netzer, Heynckes, Stielike, Vogts, Simonsen. Was damals Klub-Idol Günter Netzer (75), der 1973 zu Real Madrid wechselte, auf dem Platz war, ist heute Denis Zakaria (23). Der Schweizer ist kein Spielmacher wie einst „der Schlappe“. Zakaria gibt den Takt aus dem defensiven Mittelfeld an. Er marschiert, er führt viele Zweikämpfe. Er ist der Kopf für das Tempo-Spiel. Manchester United soll dran sein am Strategen mit einem Vertrag bis 2022. Von 60 Mio. Euro Ablöse ist die Rede.
Eigentlich will Manager Max Eberl (46) das Geld gar nicht haben. Natürlich gehören die Verkäufe wie vor 40 Jahren zum Geschäftsprinzip. Dennoch soll Gladbach „kein Ausbildungsverein sein“, sagt Eberl. Zakaria will er halten, am liebsten verlängern. Die Besten langfristig zu binden, das wäre der nächste Schritt des Klubs.
Bei ihm heißt es nie IHR müsst, sondern WIR müssen
Ginter über Rose
Dass Gladbach die Tabellenspitze erobert hat, ist das Ergebnis harter Arbeit. „Wir müssen kreativ sein“, sagt Eberl gern. Eigentlich meint er: Um oben mitzuhalten, muss sein Klub mehr arbeiten als die übermächtige Konkurrenz aus München und Dortmund. Und schneller sein und akribischer vorbereitet sein, um Top-Spieler zu bekommen. Oder einen zweiten Anlauf wagen wie bei Verteidiger Stefan Lainer (27), der schon 2018 von RB Salzburg kommen sollte, aber erst 2019 für 12,5 Millionen Euro zu haben war. Oder nie locker lassen wie bei Breel Embolo (22), der vier Jahre nach der ersten Kontaktaufnahme kam, nachdem er auf Schalke gescheitert war. Jetzt liefert er wieder.
Er schafft es, dich von Dingen zu überzeugen, die du nicht so gut kannst
Stefan Lainer über Rose
Embolo ist ein Puzzle-Stück des Erfolgs. Gladbach kauft nicht die Top-Stars. Eberl und sein Sportdirektor Steffen Korell (48) bauen Jahr für Jahr eine Mannschaft und entwickeln Spieler zu Stars. Vor allem Lainer und Stürmer Marcus Thuram (22) schlugen diesmal voll ein. Von Thorgan Hazard (26), der für 25 Millionen Euro nach Dortmund ging, spricht niemand mehr. Gladbach hat sechs Punkte mehr als der BVB.
Die Borussia vom Niederrhein ist mutig. Wie bei Trainer Marco Rose (43), der von Salzburg kam. Eberl hat ihn verpflichtet, obwohl Dieter Hecking die Mannschaft in die Europa League führte und noch unter Vertrag stand. Der Ex-Gladbach-Profi und Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (58) sagt:
Vor seiner Entscheidung, einen erfolgreichen Trainer auszutauschen, habe ich großen Respekt. Die Arbeit von Max ist ein entscheidender Bestandteil für den Erfolg von Borussia. Er hat es vorhergesehen, dass Marco Rose ein Typ ist, der Gladbach weiter bringt.
Rose zündete die nächste Stufe. Schon sein Auftritt steht für Aufbruch: gerade Haltung, laute Sprache, direkte Worte. Rose bringt eine positive Arroganz mit. Er ist jemand, der vorweg geht. Erfolg ist für ihn keine Auszeichnung, sondern geplante Normalität. Zwei Jahre war er Cheftrainer in Österreich. Zweimal wurde er Meister mit Salzburg, einmal führte er den Underdog ins Halbfinale der Europa League.
Mit der A-Jugend des Klubs hatte er 2017 schon die Nachwuchs-Champions-League (Youth League) gewonnen. Jetzt lässt er Gladbach träumen. Die knapp 55 000 Zuschauer, die ins Stadion passen, kommen, um Großes zu erleben – wie die 35 000 in den 70ern am Bökelberg.
Rose hat einen Plan, wie etwa sein 4-4-2-System mit Raute im Mittelfeld. Es ist aber nicht in Stein gemeißelt, Rose ist flexibel. So spielte Gladbach zuletzt wieder im 4-3-3-System und im 5-3-2. Unabhängig von der Aufstellung ist die Ausrichtung: immer Volldampf.
Die Mannschaft arbeitet fleißig, die Ergebnisse geben uns Vertrauen. Aber das kann für uns nur ein Ansporn sein und kein Grund, sich jetzt auszuruhen
sagt Rose.
Lainer, 1,75 Meter groß, drahtig, Terrier auf der rechten Außenbahn und Einpeitscher in der Kabine, sagt über Rose:
„Der Trainer kann dich begeistern für das, was er vorhat. Er schafft es, dich von Dingen zu überzeugen, die du eigentlich nicht so gut kannst. Die Fünferkette zum Beispiel haben wir kaum trainiert. Aber als wir sie angewandt haben, hat sie funktioniert, und jeder wusste, was er zu tun hatte. Diese Überzeugung brauchst du, wenn du etwas gewinnen willst.“
Lainer spielte schon in Salzburg unter Rose. Fragen nach der Meisterchance machen ihn nicht nervös. Erfolge und Titel sind für ihn Alltag. Diese Mentalität bringt er in die Kabine. „Jeder muss bereit sein, Fehler des anderen auszubügeln, jeder muss sich auf den anderen verlassen können. Die Siege sind nicht nur eine Bestätigung, sondern geben uns auch Vertrauen, in unserer Art Fußball zu spielen. Die ist in Gladbach ja noch ziemlich neu“, sagt Lainer: „Man spürt, dass wir inzwischen einen anderen Fußball spielen als zu Beginn. Wir agieren jetzt viel druckvoller und haben viel mehr Ballgewinne, weil die Automatismen funktionieren.
Wir haben sicher noch Luft nach oben, aber unser Spiel entwickelt sich in die richtige Richtung. Das spüren wir Spieler auf dem Platz. Und unsere Fans spüren das, glaube ich, auch. Hier wächst etwas zusammen.
Stefan Lainer
So wird der Traum von der ersten Meisterschaft seit 1977 immer realer. Rose lässt ihn zu, auch in der Kabine. Nationalspieler Matthias Ginter (25) spricht über ein kleines Detail, dass in der Mannschaft Großes bewirkt: „Der Trainer bezieht sich immer mit ein. Bei ihm heißt es nie ‚ihr müsst‘, sondern ‚wir müssen‘.“ Auch dieser Zusammenschluss sorgt dafür, dass Gladbach wieder vornweg galoppiert. Nicht einmal das Verletzungspech mit bis zu elf gleichzeitig angeschlagenen Spielern konnte den Spitzenreiter stoppen.
Die Borussia ist wieder da. So stark wie seit 42 Jahren nicht. Auch finanziell und strukturell. Das wird spätestens dann deutlich, wenn man zum Borussia-Park einbiegt. Der Klub ist ein eigener kleiner Stadtteil im Gladbacher Norden. Das moderne Stadion, direkt angeschlossen ein Vier-Sterne-Hotel. In diesem Komplex haben die Mannschaftsärzte ihre Praxen. Sogar einen Kernspin-Tomografen gibt es dort. Bei einer Verletzung muss kein Spieler mehr in ein Krankenhaus zur Untersuchung. Alles ist in 50 Meter Entfernung zur Kabine möglich. Daneben liegen die Trainingsplätze, daran schließen der Nachwuchs-Campus und der FohlenStall (Internat) an. Eine in Deutschland einzigartige Anlage. Alles an einem Ort. Alles in Vereinsbesitz. Einen Investor gibt es nicht. Nicht einmal der Stadionname wurde bisher verkauft.
Gladbach ist aufgestellt für eine große Zukunft. Da erscheint es sogar als Glücksfall, dass der Hauptsponsor Postbank schon vor einigen Wochen seinen Ausstieg zum Saisonende erklärt hat. Einen besseren Zeitpunkt hätte es für Borussia nicht geben können. Dank des neuen sportlichen Erfolgs dürfte es ein Leichtes werden, einen Nachfolger auf der Trikot-Brust zu finden.